Von Bürgerschaftssitzung bis Staatsexamen: Die Pandemie hat uns in den unterschiedlichsten Lebenssituationen erwischt. Vier Einblicke
Lena Zagst (Jg. 2009) wurde bei der Wahl zur 22. Hamburgischen Bürgerschaft im Februar 2020 im Wahlkreis Hamburg-Mitte
erstmals für Bündnis 90/Die Grünen in die Bürgerschaft gewählt. Sie ist justizpolitische Sprecherin ihrer Fraktion.
Gleichzeitig arbeitet sie an ihrer Promotion im Völkerrecht.
In welcher Situation ist Dir klar geworden, dass uns das Corona-Virus in Deutschland auch für längere Zeit beschäftigen würde?
Meine allererste Bürgerschaftssitzung Mitte März, die eigentlich ein feierlicher Moment für alle sein sollte – tatsächlich durfte nur die Hälfte der Abgeordneten teilnehmen und der Ablauf der Sitzung wurde so schnell wie möglich abgehandelt. Das war natürlich schade und hat den Ernst der Lage wirklich deutlich gemacht.
Was hat sich durch das Virus in den letzten Monaten geändert?
Die Sorge um mögliche Ansteckungen bei sich, in der Familie oder im Freundeskreis ist eine ständige Begleiterin im Alltag geworden. Jede Aktivität ist von den Gedanken begleitet, ob ein Ansteckungsrisiko besteht. Ich freue mich, wenn das irgendwann demnächst Geschichte ist.
Wie erlebst Du die Arbeit in der Hamburgischen Bürgerschaft während der Corona-Pandemie?
Die Corona-Pandemie hat direkt nach der Wahl die Koalitionsverhandlungen, die Bildung der neuen Regierung und die Aufstellung der Fraktion verzögert. Obwohl viele Formate wie Fraktions- und sogar Ausschusssitzungen inzwischen digital stattfinden, was auch sehr gut klappt, fehlen der persönliche Kontakt und Austausch, die Gespräche am Rande, doch spürbar.
Wie schaffst Du es (gerade momentan), gleichzeitig noch an Deiner Dissertation zu arbeiten?
Es ist gar nicht so einfach. Ich versuche, mir den Tag klar zu strukturieren und feste Zeitblöcke für die Doktorarbeit oder Politik einzuplanen. Meine Mitarbeiterin unterstützt mich außerdem hervorragend. In den Corona-Lockdowns ist der Kalender außerdem deutlich leerer, sodass mehr Zeit für die Dissertation bleibt.
Was nimmst Du aus der Situation mit?
Die Hoffnung, dass die geballte Energie, die der Bewältigung der Corona-Krise gewidmet wird, auch anderen existenziellen Krisen wie der Klimakrise gewidmet wird!
Arno Doebert (Jg. 2004) ist Partner bei Reimer Rechtsanwälte in Hamburg mit Schwerpunkt im Bereich des Insolvenzrechts.
Er ist verheiratet und hat einen dreijährigen Sohn.
In welcher Situation ist Dir klar geworden, dass uns das Corona-Virus in Deutschland auch für längere Zeit beschäftigen würde?
Anders als bei 9/11, wo ich eine konkrete Situation vor Augen habe, kann ich das bei Corona nicht exakt benennen. Ich habe das eher als schleichenden Prozess erlebt. In meinem Bekanntenkreis gab es schon früh sehr mahnende Stimmen, die ich zunächst für etwas hysterisch hielt. Das deutlichste Zeichen war jedenfalls der Anruf aus der Kita, dass wir unseren Sohn abholen müssen, weil die Kita wegen eines Corona-Verdachtsfalls geschlossen wurde. Das war wenige Tage vor dem tatsächlichen Lockdown und Klassischerweise wegen Rückkehrern aus Ischgl.
Was hat sich aus Deiner Sicht in den letzten Monaten durch das Virus geändert?
Im ersten Lockdown habe ich gerade in unserer Nachbarschaft eine Welle der Gemeinschaft und des Zusammenhalts erlebt. Die persönliche und wirtschaftliche Belastung bei den Menschen fiel dann natürlich völlig unterschiedlich aus. Ich selbst habe die phasenweise Entschleunigung sehr genossen. Je länger die Pandemie anhält, desto eher beobachte ich allerdings die wieder zunehmende Fokussierung der Menschen auf ihre eigenen Interessen. Noch habe ich aber die Hoffnung nicht aufgegeben, dass etwas von der breiten Solidarität und gegenseitigen Rücksichtnahme langfristig erhalten bleibt.
Wie beurteilst Du die Situation in Deinem Fachbereich?
Die Aussetzung der Antragspflicht für insolvente Unternehmen während der ersten Hochphase der Pandemie war im ersten Schritt sicherlich richtig. Dass im Rahmen der Verlängerung der Aussetzung bis Ende des Jahres subtil unter den Tisch fallen gelassen wurde, dass für zahlungsunfähige Unternehmen die Antragspflicht wieder gilt, ist für die haftungsbedrohten Geschäftsführer gefährlich. Die Verfahrenszahlen sind im Moment niedrig. Die Branche geht aber davon aus, dass hier noch eine Welle von insolvenzanträgen droht. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Regierung im Moment unter Hochdruck daran arbeitet, den neuen Restrukturierungsrahmen auf den Weg zu bringen, der außergerichtliche Sanierungen erleichtern soll. Wie die Praxis das neue Werkzeug einsetzt und ob dies für die von der Pandemie gebeutelten Unternehmen überhaupt der richtige Ansatz ist, wird sich zeigen. Hier kommt eine spannende Zeit auf die Insolvenz- und Restrukturierungspraxis zu.
Wie geht es Eurem Sohn mit der Situation und wie sind Eure Erfahrungen mit der Kita?
Dass im aktuellen Lockdown-Light die Kitas und Schulen geöffnet bleiben, ist natürlich für alle Eltern ein Segen. Hier hat man aus den Fehlern der ersten Welle gelernt, als das Thema Kita über Wochen trotz der heftigen Auswirkungen auf das Berufsleben der Eltern praktisch keine Aufmerksamkeit erfuhr. Für meinen Sohn oder seine Entwicklung sehe ich keine Gefahr durch die Pandemie, dafür sind die Einschränkungen in Deutschland bislang viel zu milde. Natürlich ist es schade, wenn man mal nicht in den Zoo oder ins Schwimmbad kann, aber das hat mich echtem Leid nichts zu tun.
Was nimmst Du für Dich persönlich oder allgemein aus der Situation mit?
Im Wesentlichen zwei Erkenntnisse: Der Modus, in dem unsere Gesellschaft funktioniert und in der wir selbst leben, ist auf der einen Seite empfindlicher als ich dachte. In welcher Breite und Vehemenz das Virus unser Leben verändert hat, ist doch erstaunlich. Auf der anderen Seite hat sich auch gezeigt, dass man diese Herausforderung durch allgemeine Flexibilität und Rücksichtnahme in den meisten Bereichen gut lösen konnte. Das ist ermutigend.
Thilo Kerkhoff und Fabian Motazedi (beide Jg. 2013) sind Referendare in Hamburg
und haben dieses Jahr unter anderem eine Station beim 73. Deutschen Juristentag absolviert.
In welcher Situation ist Euch klar geworden, dass uns das Corona-Virus in Deutschland auch für längere Zeit beschäftigen würde?
Um Ostern wurde uns klar, dass das Virus das öffentliche Leben trotz aller Eindämmungsmaßnahmen wohl noch länger prägen würde. Und so begannen die Überlegungen, was damit aus dem 73. DJT werden könnte. Zwar hatten wir zunächst noch gehofft, dass sich die Situation bis zum September verbessern würde, aber es wurde dann doch sehr schnell deutlich, dass wir anders planen müssen.
Was hat sich aus Eurer Sicht in den letzten Monaten durch das Virus geändert?
Natürlich hat sich unser aller Leben an vielen Stellen in unterschiedlicher Tiefe verändert. Darin liegt für die Ausbildung im Referendariat und den Juristentag aber auch eine große Chance, neue Formate zu wagen. Gerade in tradierten Strukturen sind Infektionsschutzmaßnahmen ein Katalysator der Digitalisierung. Vieles ist plötzlich auch digital möglich.
Wie seid Ihr mit der Herausforderung umgegangen, eine Tagung, die bisher immer in Präsenz stattfand, nun auf andere Art konzipieren und planen zu müssen? Welche Herausforderungen musstet Ihr bei der Organisation meistern?
Nachdem das bisherige Konzept einer großen Tagung im neuen CCH mit einem umfangreichen Rahmenprogramm, inklusive eines Konzerts in der Elbphilharmonie, hinfällig geworden war, stellte sich für uns die Herausforderung, ein Format zu entwickeln, das sowohl inhaltlich als auch organisatorisch angemessen auf die Pandemie reagiert. Dies bot für uns die Chance, unsere Ideen einzubringen. Letztlich entschied sich der Deutsche Juristentag e.V. dazu, den 73. Juristentag mit seinen Themen um zwei Jahre zu verschieben und stattdessen das hybride „Forum Pandemie und Recht“ zu organisieren. Im Fokus der neuen Veranstaltung standen die Themen Grundrechte und Lastenverteilung.
Aus organisatorischer Perspektive ging es einerseits darum, eine Art Talkshow zu produzieren. Da muss man sich plötzlich über ganz praktische Dinge wie eine Visagistin, Bühnenbild und Schnitt Gedanken machen. Andererseits erwarteten wir über 300 Gäste und Mitarbeiter vor Ort, deren Gesundheit durch Abstandsflächen und Hygienekonzepte gewährleistet werden musste. So wurden eigentlich simple Programmpunkte wie ein Mittagsimbiss zu durchaus kniffligen Aufgaben.
Schließlich wollten wir – soweit möglich – die Juristentags-Atmosphäre in den digitalen Raum transportieren: Seit 160 Jahren gründet der Erfolg des DJT darauf, dass nach breiter wissenschaftlicher Diskussion über mehrere Tage Beschlüsse mit konkreten rechtspolitischen Empfehlungen gefasst wurden. Dieses Alleinstellungsmerkmal lässt sich nicht in ein Social Media-Konzept pressen. Dennoch haben wir versucht, durch Zuschauerfrage und vielseitige Podien eine abwechslungsreiche Debatte zu ermöglichen. Anstelle des Rahmenprogramms haben wir Hamburg als Gastgeberstadt durch die Produktion kurzer Filme präsentiert. Besonders gefreut hat es uns, dass auch die Bucerius Big Band virtuell aufgetreten ist.
Wie zufrieden wart Ihr dann mit dem Ergebnis?
Selbstverständlich kann ein „hybrides“ Veranstaltungsformat einen regulären Juristentag mit 3.000 Präsenzteilnehmern nicht ersetzen. Mit über 12.000 Aufrufen des Livestreams konnten wir jedoch eine für den Juristentag recht hohe Reichweite erzielen und hoffentlich auch neue Zielgruppen erschließen. Letztlich bestätigt dieses große Interesse die gesamtgesellschaftliche Relevanz der Fragen nach einer angemessenen Abwägung von Grundrechten und einer nachhaltigen und gerechten Lastenverteilung.
Was nehmt Ihr für Euch persönlich oder allgemein aus der Situation mit?
The show must go on.
Lydia Rautenberg (Jg. 2009) hat in diesem Jahr ihr Referendariat abgeschlossen
und im Juni ihre Klausuren zum Zweiten Staatsexamen geschrieben.
In welcher Situation ist Dir klar geworden, dass uns das Corona-Virus in Deutschland auch für längere Zeit beschäftigen würde?
Ich würde sagen, dass es viele kleine Momente waren, in denen es bei mir nach und nach Klick gemacht hat. Besonders krass habe ich die Situation empfunden, als die Rückreise meines Freundes Jakob von seiner Referendariatsstation aus Costa Rica anstand. Costa Rica war pandemietechnisch zwei bis drei Wochen verzögert zu Deutschland. Aus dortiger Sicht war es kaum vorstellbar, dass tatsächlich der internationale Flugverkehr zum Erliegen kommen würde. Aber Jakobs gebuchte Flüge wurden storniert und es gab keine Möglichkeit, andere zu buchen, egal, zu welchem Preis. Wir hingen stundenlang in Warteschleifen von Telefoncentern. Zwischenzeitlich sah es so aus, als würde er bis Madrid kommen. Genau an dem Abend (20. März) waren aber Horrorbilder von Madrid in der Tagesschau, alle Hotels waren gesperrt und es hab für mindestens zwei Wochen keine Weiterflüge nach Deutschland. Mit dem Auto wäre ich vermutlich auch nie bis Spanien über alle Grenzen gekommen, um ihn abzuholen. Zum Glück ist Jakob dann doch kurzfristig – mit der Hilfe einer weiteren BLS-Aumnae – auf einen der Rückholaktionflüge gekommen, sodass er am 24. März wieder in Hamburg angekommen ist.
Was hat sich für Dich in den letzten Monaten durch das Virus geändert?
Ich war dieses Jahr wirklich viel joggen, was mir eigentlich gar nicht so gut gefällt. Normalerweise laufe ich nur dem Ball hinterher, aber Fußball konnte insgesamt wirklich kaum stattfinden. Und ich war sehr viel zu Fuß unterwegs, weil die Treffen mit Freunden als Spaziergänge stattfanden; normalerweise bin ich mit dem Rad unterwegs und recht lauffaul.
Die letzten Wochen vor dem Examen musstest Du zu Hause lernen. War das eine große Umstellung für Dich oder hast Du schon immer viel bei Dir gelernt?
Grundsätzlich habe ich während des Studiums viel von zu Hause gelernt, sodass mir das Homeoffice nicht ganz so schwerfiel. Allerdings kamen ein paar andere Faktoren dazu, die die Situation dann doch ganz schön erschwert haben. Erstens: Die Personalstelle für Referendare hat für die Umstellung sehr lange gebracht. Klausurkorrekturen und -besprechungen fielen aus und wurden erst ab Ende April langsam nachgeholt. AGs fanden ebenfalls nicht statt und wurden z.T. erst in der Woche vor den Klausuren im Juni wieder angeboten – viel zu spät für mich. Zweitens: Der nötige Ausgleich fiel in großen Teilen weg. Wenn schon den ganzen Tag zu Hause und keinen richtigen „Cut“ zum Feierabend, dann wenigstens noch einmal mit ein paar Leuten treffen, ein Stündchen in die Kneipe, zum Training und den Kopf freibekommen. Immerhin hatten die Eisdielen die ganze Zeit über geöffnet!
Unter welchen Umständen fand Dein Examen dann tatsächlich statt und was hat Dir geholfen, Dich auf die inhaltliche Vorbereitung zu konzentrieren?
Mein Termin war im Juni, die Lage also verhältnismäßig entspannt und das GPA hatte nun auch einige Zeit zur Vorbereitung – anders als noch beim Apriltermin. Tatsächlich war ich aber doch überrascht, wie wenige Szenarien im Vorfeld durchgespielt wurden und wie kurzfristig die Ladungen kamen. Mein Lieblingsaspekt: Die zwei Räume, in denen ich und etwa 60 Personen Examen geschrieben haben, waren nur über einen Fahrstuhl erreichbar, den maximal zwei Personen zugleich nutzen durften. Auf persönlicher Ebene habe ich versucht, so streng wie möglich zu sein, um jedes Risiko, in Quarantäne zu müssen, zu vermeiden. Die Konzentration kam von ganz allein, da hat der allgemeine Examensdruck sein Übriges getan. Ich glaube tatsächlich auch, dass die Ausnahmesituation „Examen“ und die Ausnahmesituation „Corona“ sich ein bisschen gegenseitig relativiert und den eigenen Blick etwas geweitet haben.
Was nimmst Du für Dich persönlich oder allgemein aus der Situation mit?
Eigentlich habe ich kein klares „Learning“ aus der gesamten Zeit für mich. Examenschreiben ist sowieso eine Ausnahmesituation, in der man durchhalten, gut auf sich Acht geben und sich auch mal selbst austricksen muss.
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