Charlotte Dobers-Koch über die anwaltliche Berufspraxis und Optionen junger Anwälte / Anwältinnen
„Wer etwas will, sucht Wege. Wer etwas nicht will, sucht Gründe.“ Dieses oft bemühte Zitat des deutschen Unternehmers Harald Kostial gilt für (Groß-)Kanzleien als Arbeitgeber genauso wie für Kollegen / Kolleginnen, die vor der Frage stehen, wie sie Teilzeit ermöglichen wollen bzw. ob und wie sie als Anwalt / Anwältin in Teilzeit in einer Kanzlei tätig sein sollen.
Echter Vorreiter sein oder bloß „mitziehen“ – diese Entscheidung mit all ihren Konsequenzen muss jede Kanzlei als Arbeitgeber für sich selbst treffen. Die Bedeutung von tragfähigen und flexiblen Teilzeit-Modellen als zentraler Baustein für eine moderne Arbeitskultur ist jedoch nicht zu unterschätzen. Und es ist kein Geheimnis, dass insbesondere für Kanzleien der Markt an hochkarätigem Nachwuchs mit langfristigen Ambitionen umkämpft ist. Noch immer haben viele hervorragend qualifizierte Juristen / Juristinnen statt nach Wegen zu suchen, die Vorstellung, dass Teilzeit und Anwaltstätigkeit sich ausschließen. Hier sind Vorbilder und Aufklärungsarbeit ebenso gefragt wie der Mut, es einfach selbst auszuprobieren.
Wer aufgrund persönlicher Lebensumstände oder auch grundlos Teilzeit arbeiten möchte (oder muss), wird die Versprechen der HR-Broschüren ebenso wie die Aussagen von HR-Partnern und Mentoren schnell genauer unter die Lupe nehmen. Es gibt wenig andere Beispiele, wo Versprechen an die eigenen Mitarbeiter / Mitarbeiterinnen (oder gegenüber dem Markt), die nicht eingelöst werden, zu maximaler Frustration des Einzelnen führen. Wer es als Arbeitgeber hingegen schafft, auch Kollegen / Kolleginnen in Teilzeit ernsthafte und faire Aufstiegschancen zu ermöglichen und Wertschätzung für super Arbeit – egal, ob in Teilzeit oder Vollzeit – auszudrücken, der dürfte erheblich weniger Retention Probleme haben. Und nebenbei auch im Unternehmensinteresse viel Geld einsparen.
Teilzeit funktioniert – obwohl die Tätigkeit als Anwalt / Anwältin ein Dienstleistungsberuf ist! Erfolgreiche Anwälte / Anwältinnen haben meistens viele Bälle in der Luft. Und so ist das Paradebeispiel der Antwort auf die Frage, wie denn bitte eine mehrstündige vormittägliche Abwesenheit wegen Teilzeit dem Mandaten gegenüber zu rechtfertigen sei, die gleiche wie in Vollzeit: Organisation des eigenen Schreibtisches und gute Kommunikation! Wer an einer mehrstündigen Gerichtsverhandlung für Mandat A teilnimmt, kann auch nicht gleichzeitig für Mandat B Vertragsverhandlungen führen – Vollzeit hin oder her! Zudem sind Anwälte in Großkanzleien ja auch Teamplayer. Ein großer Vorteil ist, dass die Vergütungsmodelle in Kanzleien transparenter sind als in anderen Unternehmen. Die Vergütung für eine Teilzeittätigkeit ist mithin im Vergleich zu anderen Kollegen/Kolleginnen gerecht. Und die durch die COVID-19 Pandemie ausgelöste und nicht mehr aufzuhaltende Welle des Mobile Working und der zunehmenden Digitalisierung spielen einer Teilzeittätigkeit in die Karten.
Also, findet Wege für Lösungen! „Das haben wir noch nie so gemacht“ ist kein Grund.
Charlotte Dobers-Koch (Jg. 2005) ist Counsel im Bereich Corporate Compliance bei CMS. Sie war mehrere Jahre Vorstandsmitglied des Bucerius Alumni e.V. und engagiert sich heute unter anderem im Rahmen des Mentorenprogramms der Bucerius Law School.
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