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Corporate Compliance – Jurist:innen an der Schnittstelle

Lukas Inhoffen spricht über die Aufgaben im Bereich Corporate Compliance und für wen eine Arbeit in diesem Bereich interessant sein kann



Corporate Compliance ist eine gute Alternative für Jurist:innen, die neben der klassischen Rechtsanwendung auch politisch geprägte Organisationsstrukturen und Unternehmensprozesse mitgestalten möchten und mit internationalen Optionen liebäugeln, meint Lukas Inhoffen.

 

Womit Compliance-Anwält:innen im Unternehmen sich im beruflichen Alltag konkret befassen, scheint für viele auch heute noch ein Rätsel zu sein – im Austausch mit anderen Jurist:innen ist die Frage danach jedenfalls an der Tagesordnung. Das mag angesichts der großen Aufmerksamkeit, die das Thema seit Jahren erfährt, zwar erstaunlich klingen, tatsächlich aber ist es keine Überraschung – schließlich trägt der Begriff „Compliance“ selbst wenig zur Klärung der Frage bei.

 

In aller Regel sind Compliance-Jurist:innen im Unternehmen damit befasst, Strukturen und Prozesse zu etablieren, um systematisches Fehlverhalten von Mitarbeitenden im Grundsatz zu vermeiden, bei Bedarf aber auch verlässlich zu identifizieren – es geht also um deutlich mehr als nur die Erarbeitung von Inhalten und die Beratung dazu. Die Summe dieser Inhalte, Strukturen und Prozesse wird als Compliance Management System (CMS) bezeichnet, dessen Grundpfeiler in vielen Fällen durch allgemein anerkannte Prüfstandards vorgegeben werden, z.B. den IDW PS 980. Die Implementierung und spätere Weiterentwicklung eines CMS gelingen aber nur, wenn seine Instrumente global und nachhaltig tief im Unternehmen verankert werden. Dafür ist es zwingend erforderlich, regelmäßig und intensiv mit anderen Abteilungen zusammenzuarbeiten und auch langfristig im Austausch zu bleiben.

 

Konkret bedeutet das beispielsweise, mit dem lokalen Management aller Landesgesellschaften ein Netzwerk lokaler Compliance-Botschafter:innen zu etablieren oder ein weltweites Schulungskonzept gemeinsam mit der Personalabteilung und IT-Organisation auszurollen. Weitere Beispiele betreffen die Gestaltung weltweiter Informationskampagnen in Zusammenarbeit mit Communications oder die Einführung von Kontrollmechanismen mit den Kolleg:innen vom Internen Kontrollsystem (IKS), um die Einhaltung interner Regeln effektiv zu überwachen. Da der Erfolg von Compliance aber maßgeblich von der aktiven Unterstützung des Managements abhängt, besteht auch regelmäßig übergeordneter Abstimmungsbedarf mit dem Vorstand, beispielsweise hinsichtlich der Freigabe neuer Konzernrichtlinien, dem personellen Ausbau der weltweiten Compliance-Organisation oder der Vorbereitung von Kommunikationsmaßnahmen der Vorstandsmitglieder zum Thema Compliance.

 

Von wesentlicher Bedeutung im Rahmen der individuellen CMS-Konzeptionierung ist es zudem, die Zuständigkeiten einer Compliance-Organisation im komplexen Gefüge aller Governance-Strukturen eines Unternehmens möglichst exakt zu definieren. Denn danach bemisst sich, ob jeder potenzielle Gesetzesverstoß die Compliance-Organisation auf den Plan ruft oder doch nur solche, die im Zusammenhang mit den klassischen Schwerpunktthemen Kartell- und Wettbewerbsrecht, Anti-Korruption, Interessenkonflikte, Geldwäsche und Exportkontrolle stehen. Einen wichtigen Teil der Arbeit können schließlich auch das Hinweisgeber-Management (Whistleblowing) und Internal Investigations ausmachen – im Unterschied zur Gestaltung der präventiven Elemente eines CMS steht dabei die repressive Aufarbeitung von Verstößen im Fokus.

 

Eine Compliance-Rolle im Unternehmen ist in erster Linie für diejenigen von Interesse, die über die klassische Arbeit mit dem Gesetz hinaus Unternehmensprozesse gestalten und durchsetzen wollen, ohne dabei auf die Wertschätzung für ihre juristische Kompetenz als Orientierung verzichten zu müssen. Die Arbeit ist in vielen Fällen sehr international mit wenig Berührungspunkten zum deutschen Recht und durch ihre strategische und regulatorische Bedeutung nicht selten an der Schnittstelle zum Vorstand und Aufsichtsrat angesiedelt. Auch aus diesem Grund ist die Tätigkeit oft politisch geprägt, weshalb Konfliktfähigkeit und die Bereitschaft, schwierige politische Gratwanderungen zu meistern, gefordert sind. Natürlich bieten sich in ausdifferenzierten Strukturen auch Chancen für ausgemachte Spezialist:innen, z.B. aus den Bereichen Kartell- und Außenwirtschaftsrecht.

 

Ob aber Generalist:in oder Spezialist:in: Die größte Herausforderung hängt mit der juristischen Ausbildung zusammen, die Berufsträger:innen in erster Linie lehrt, bekannte Fakten rechtlich zu bewerten. Dagegen tun sich Jurist:innen erfahrungsgemäß schwer damit, bei unklarer Fakten- oder Gesetzeslage Prognosen und Empfehlungen auszusprechen. Genau das aber ist eine der wesentlichen Herausforderungen in diesem Bereich, der im Kern eher das Management juristischer Risiken und Unsicherheiten als die klassische Rechtsanwendung erfordert. Diejenigen, die diese Herausforderung reizt, denen bietet das weite Feld der Compliance nicht nur eine Alternative zur klassischen Juristerei, sondern gleichzeitig einen tiefen Einblick in die politischen Organisationsstrukturen eines Unternehmens – und im Zweifel auch ein ideales Sprungbrett für die Übernahme anderer Verantwortungen im Konzern.


Lukas Inhoffen (Jg. 2007) sammelte erste Inhouse-Erfahrungen im Compliance-Bereich während des Studiums und Referendariats bei Louis Dreyfus Company – einem der weltweit größten Agrargüterhändler – in Paris und Singapur. Danach begann er als Compliance-Associate im Münchener Büro von Gibson Dunn, bevor er 2017 zu Knorr-Bremse wechselte, um dort die Compliance-Organisation mitaufzubauen. Aktuell gestaltet er die Weiterentwicklung der Compliance-Organisation bei Vitesco Technologies mit, einem Spin-Off von Continental, das im September 2021 den Börsengang feierte. Der Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.


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