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Generative KI

Lehre und Forschung an der Erkenntnisgrenze



Seit der Veröffentlichung von ChatGPT am 30. November 2022 und vor allem seit der Verfügbarkeit von GPT-4 im März diesen Jahres deutet sich an, dass moderne Sprachtechnologie (Natural Language Processing – NLP) zunehmend in der Lage ist, juristische Texte zu verstehen und zu verfassen. Das hat nicht zuletzt ein am Center for Legal Technology and Data Science bei Professor Dan Katz entstandenes Paper mit dem Titel „GPT-4 Passes the Bar Exam“ gezeigt. In enger Kooperation mit OpenAI und mit Zugang zum neuen Modell bereits ab Ende Januar konnten wir zeigen, dass es nicht nur den Multiple-Choice-Teil besser besteht als 89 % aller menschlichen Teilnehmer:innen, sondern gute Noten auch im Essay und kautelarjuristischen Teil erreicht. Dieses beeindruckende Ergebnis hat für große, internationale Sichtbarkeit des Centers gesorgt und den Ruf der Hochschule als eine der führenden Forschungseinrichtungen im Bereich NLP und Recht in Europa – und vielleicht sogar weltweit – gestärkt.

 

Neue Forschung und Lehre

 

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass generative KI und Large Language Models seit diesem Jahr in vielen Kanzleien, Rechtsabteilungen und auch in der Justiz diskutiert und teilweise bereits erprobt werden. An der Bucerius Law School beschäftigen wir uns deshalb in Forschung und Lehre sowohl mit dem Einsatz Künstlicher Intelligenz im Rechtsmarkt als auch in der Hochschulbildung. Die Hochschule sieht sich in der Verantwortung, dieser Entwicklung proaktiv zu begegnen und zur konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung mit ihr zu befähigen. Statt auf Verbote zu setzen, wollen wir unseren Studierenden beibringen, diese neuen Technologien sinnvoll und umfassend einzusetzen.

 

Eine offensichtliche Herausforderung ist der Umgang mit der Nutzung durch Studierende in Leistungsprüfungen. Hierzu erarbeitet die Hochschule eine Richtlinie. Klar ist, dass es nicht den wissenschaftlichen Standards entspricht, nur das Thema einzutippen und einen von der KI generierten Text als eigene Ausarbeitung abzugeben. Das ist (derzeit) auch nicht zu empfehlen. Aber als sinnvoll eingesetztes Hilfsmittel kann generative KI Studierende dabei unterstützen, ihre Arbeiten besser zu strukturieren und Argumentationslinien weiterzuentwickeln. Denn viele Studierenden empfinden gerade den ersten Einstief in ein Thema als große Herausforderung. Dafür einen digitalen Sparringspartner zu haben, mit dem man sich über die ersten losen Gedanken austauschen kann, ist eine große Hilfe.

 

KI als Schlüsselkompetenz

 

Wer schon einmal mit einer generativen KI-Anwendung gearbeitet hat, weiß, dass die Ergebnisse beeindrucken können, aber man diesen keinesfalls blind vertrauen darf. Die kritische Reflexion und Verbesserung des Outputs wird eine zukünftige Schlüsselkompetenz für Jurist:innen. Als Hochschule wollen wir die „Digital Literacy“ perspektivisch fest in das Jurastudium integrieren. Aber nicht nur auf Seite der Studierenden besteht der Wunsch nach Fortbildung. Viele Lehrende an unserer Institution möchten generative KI in ihren Veranstaltungen einsetzen. Hierfür erstellen wir derzeit eine Toolbox und Beispiele, wie diese sinnvoll in der Lehre integriert werden können.

 

Im Rahmen des Kurses „Legal Technology and Operations“, den Dan Katz und Dirk Hartung im Masterprogramm anbieten, wurden die Teilnehmer:innen aktiv zur Nutzung von generativer KI aufgefordert, nachdem die technischen Grundlagen in mehreren Kurseinheiten behandelt wurden. Dabei bestand die Aufgabe darin, zur Erstellung eines Memos für die Einführung einer neuen Legal Technology-Lösung ChatGPT bzw. GPT-4 zu verwenden und den Erstellungsprozess als Teil der Leistung ausführlich zu dokumentieren. Interessanterweise zeigte sich, dass die Modelle den Leistungsstand der einzelnen Studierenden relativ gut abbilden: Besonders engagierte Teilnehmer:innen wurden durch die Nutzung des Tools nochmals deutlich besser, weniger motivierte oder interessierte Studierende blieben auch bei der Verwendung der Tools im unteren Leistungsbereich. Insgesamt konnten wir allerdings besonders im oberen Leistungsbereich eine klare qualitative Steigerung in sprachlicher, aber auch in inhaltlicher Hinsicht feststellen.

 

Durch diese Erfahrung ermutigt entschieden sich einige Studierende, ihre Masterarbeiten mit und über generative(r) KI zu verfassen. Dabei wurden unter anderem im Datenschutzrecht und Fluggastrecht, bei der Organisation von Massenverfahren in einer Rechtsabteilung und im Immobilienrecht Experimente durchgeführt. Die Studierenden – alle ohne Erfahrungen in der Softwareentwicklung – haben dabei ausschließlich mit dem Chat-Interface gearbeitet, Prompts entwickelt und in händischer Arbeit Fälle gelöst. Im Anschluss haben sie die Ergebnisse jeweils mit Praktikern evaluiert. Deren Erwartungen wurden durchweg deutlich übertroffen, die gefundenen Lösungen einhellig für praktisch verwertbar gehalten. Im Datenschutz etwa beantwortete GPT-4 über 90 % der Fragen im CIPP-E-Examen korrekt. Während die Ergebnisse im Detail in einer Reihe Posts beim inPractice-Blog des Centers on the Legal Profession erscheinen werden, waren auch die Arbeiten insgesamt erneut von besonders hoher Qualität. Interessanterweise konnten einige Studierende, die zuvor an dem Kurs in Legal Technology and Operations teilgenommen hatten, ihre Leistungen nochmal steigern. Das legt die Vermutung nahe, dass der reflektierte Umgang mit diesen Tools nicht nur zu mehr Produktivität und besserer Qualität führt, sondern erlernt bzw. beigebracht werden kann. Da diese Technologien in Zukunft – etwa über CoCounsel von Casetex / Thomson Reuters oder Microsoft 365 Copilot Einzug in Kanzleien erhalten werden, arbeiten wir aktiv an einem Technologiecurriculum, das diese Fähigkeiten vermittelt. Damit bereiten wir Studierende und Absolvent:innen unserer Hochschule optimal auf die Arbeitswelt von morgen vor und statten sie mit einem echten Wettbewerbsvorteil aus.



Mut zur KI

 

Unsere Hochschule hat sich immer durch Mut zum Technologieeinsatz ausgezeichnet. Vor 20 Jahren gehörten wir zu den ersten Institutionen, die ihren Studierenden Zugang zu juristischen Online-Datenbanken ermöglichten – entgegen zahlreicher Bedenken. Von den Horrorszenarien, die prognostiziert wurden, hat sich keines realisiert. Auch heute wird sich der Rechtsmarkt weiter verändern. Es bleibt nur die Frage, ob man an der Spitze der Veränderung stehen möchte. ChatGPT ist das Beck-Online unserer Zeit und wer meint, diese Entwicklung mit Verboten zu verhindern, betreibt Intellektuelle Maschinenstürmerei, die jedenfalls zu unserer Alma Mater so gar nicht passen will.


Carl Coste (Jg. 2015)

Dirk Hartung (Jg. 2009)


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