Die aktuellen Preisträger der Alumni-Lehrpreise erklären das Potenzial beider Lehrformen
Die Professorin schwört auf die klassische Vorlesung, während der wissenschaftliche Mitarbeiter die Hochschule am liebsten in einen Streaming-Anbieter für Lehrvideos umwandeln würde. Dieses Narrativ hätten wir unserem Artikel geben können, wenn es uns vor allem darum gegangen wäre, einen möglichst kontroversen Text zu produzieren. Als das GERD-Magazin uns als aktuelle Lehrpreisträger um einen Beitrag bat, gab man uns Fragen mit, die in diese Richtung gingen. Für Paul Krell war die Frage gedacht, wie man Studierende für Präsenzveranstaltungen gewinnt. Moritz Nickel sollte beantworten, ob Videos die neue Vorlesung sind.
Als wir uns zu einem Vorgespräch trafen, wurde aber relativ schnell klar, dass unsere Vorstellungen von guter juristischer Lehre ziemlich ähnlich – und jedenfalls nicht entgegengesetzt – sind. Wir haben uns daher entschlossen, unabhängig voneinander für das Potenzial beider Lehrformen zu plädieren.
Warum ist Präsenzlehre unverändert wichtig?
Krell: Die einfache Antwort lautet: Weil sie ein unverzichtbarer Teil des Studiums ist. Natürlich ist das mehr Behauptung als Begründung. Wenn ich eine etwas ausführlichere Antwort gebe, soll das nicht heißen, dass man Präsenzlehre rechtfertigen müsste.
Ich glaube auch nicht, dass man Studierende für sie gewinnen muss. Die Studierenden wissen Präsenzlehre auch heute noch zu schätzen, weil der Hörsaal einfach eine ganz andere Authentizität und Interaktivität ermöglicht. Zoom mag also bequemer sein, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand mit Zoom-Veranstaltungen ernsthaft einen höhere Qualität der Lehre verbindet.
Lehrvideos schaffen gewisse Möglichkeiten, aber sie können echte Veranstaltungen sicher nicht ersetzen. Insofern geht es allenfalls darum, wie sich Präsenzlehre und digitale Lehre am besten kombinieren können und gegenseitig ergänzen lassen. Das kann die Grundkonzeption verändern – wie es zum Beispiel beim Blended Learning geschieht. Aber ein Verzicht auf Präsenzlehre im größeren Stil ginge in die völlig falsche Richtung.
Nickel: Mit guter Präsenzlehre nutzen wir eine der größten Stärken der BLS: Viele Lehrende stehen einer geringen Anzahl Studierender gegenüber. An wohl keiner anderen Jurafakultät in Deutschland ist es in gleichem Maß möglich, in kleinen Lerngruppen direkt mit den Lehrenden zu interagieren. Interaktivität ist ein wesentlicher Vorteil der Präsenzlehre, den keine Zoom-Vorlesung und erst recht kein Lehrvideo ersetzen kann.
Deshalb sollte es das Ziel sein, Präsenzveranstaltungen so interaktiv wie möglich zu gestalten. Bei größeren Veranstaltungen bietet sich neben Wortmeldungen auch der Einsatz von Tools wie Poll Everywhere an, mit denen im Hörsaal Abstimmungen durchgeführt, Fragen gestellt und Beiträge gesammelt werden können.
Worin liegt das Potenzial digitaler Lehre?
Krell: Digitale Lehre hat ihre Vorteile nicht dort, wo sie mit Präsenzlehre konkurriert, sondern im Eigenstudium. Hier kann sie effektiver und unterhaltsamer sein. Das heißt aber nicht, dass digitale Lehre schon deshalb gut ist, weil sie im Trend liegt. Das Konzept muss stimmen und die Vorteile des digitalen Lernens auch nutzen.
Unser digitales Fallbuch etwa hilft den Studierenden, Übungsfälle aktiv zu lösen, anstatt einfach eine Lösungsskizze zu schreiben und diese mit der Musterlösung zu vergleichen. Das digitale Skript erleichtert es, wichtige Entscheidungen oder das Gesetz zu konsultieren – etwas, was Studierende nach meinem Eindruck sonst immer seltener tun. Außerdem werden die Studierenden untereinander und mit dem Dozenten vernetzt und können Fragen direkt im Skript stellen. Lehrvideos können ebenfalls eine großartige Ergänzung sein – auch wenn sich das Potenzial nicht schon dann voll entfaltet, wenn ein Text aufgezeichnet wird, der neben den Vorlesungsfolien läuft.
Nickel: Digitale Lehre ist skalierbar. Der Produktionsaufwand bleibt gleich, egal ob 100 oder 1.000 Studierende ein Lehrvideo sehen. Aus diesem Grund stellen Matthias Jacobs und ich alle von uns produzierten Lehrvideos auf YouTube frei zur Verfügung.
Außerdem ist digitale Lehre effizient. Bei zehn Minuten Laufzeit muss man sich sehr genau überlegen, welche Inhalte es ins Video schaffen. In zehn Minuten liest man keinen Überblicksaufsatz in der JuS und besucht erst recht keine Vorlesung, kann sich aber mit einem Video einen Überblick über ein Thema verschaffen. Für die Vertiefung stehen dann andere Inhalte zur Verfügung.
Schließlich macht digitale Lehre den Lernerfolg der Studierenden nachvollziehbar. Über die Plattform PlayPosit können wir Fragen in unsere Videos einblenden, die die Studierenden beantworten müssen und die wir anonym zur Optimierung der Lehrinhalte auswerten können. Dieser Einsatz von Learning Analytics wird nach meiner Einschätzung in Zukunft immer weiter zunehmen. Mit dem digitalen Skript, das unter der Leitung von Alexander Ulmer an der Bucerius Law School entwickelt wird, sind wir auf dem richtigen Weg, solche Auswertungsmöglichkeiten auch in textbasierte Lehrmaterialien zu integrieren.
Professor Paul Krell (Lehrstuhl Strafrecht III)
Moritz Nickel (Jg. 2012)
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